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Bruce Dickey über das geheime Flüstern der Natur

MUSIK UND DIE KOSMOLOGIE JOHANNES KEPLERS (1571–1630)

Bruce Dickey, 2021

Bruce Dickey, 2021

Diese Aufnahme ist eine Hommage an Johannes Kepler und eine Reflexion über seine Vorstellungen von Musik und Kosmologie. Sie versucht, die musikalische Klangkulisse der Welt Keplers nachzubilden, um seine Ideen besser zu verstehen, aber auch um seine unermüdliche Sehnsucht nach Harmonie sowohl am Himmel als auch auf der Erde zu teilen. Natürlich ist Kepler zu Recht als einer der größten Astronomen aller Zeiten berühmt. Seine Ansichten trugen entscheidend dazu bei, das kopernikanische Weltbild zu untermauern, bei dem die Erde aus dem Zentrum des Planetensystems verdrängt wurde, während er gleichzeitig feststellte, dass die Planeten sich in elliptischen und nicht in perfekten Kreisbahnen bewegen, wie zuvor angenommen wurde. Aber Kepler hatte viele Interessen, die von Astronomie über Astrologie, Optik, Rhetorik, Theologie, Politik und nicht zuletzt Musik reichten. Für Kepler war die Astronomie keineswegs seine wichtigste Berufung. Nur wenige Wochen, nachdem er seine Theorie der elliptischen Umlaufbahnen der Planeten verfasst hatte, schrieb er an einen Freund: „Wenn Gott mich doch nur von der Astronomie befreien würde, damit ich mich der Sorge um meine Arbeit an der Harmonie der Welt zuwenden könnte.“

Mit seinem Streben nach Harmonie gelingt es Kepler am eindringlichsten, uns als Musiker des 21. Jahrhunderts anzusprechen. Als tief religiöser Protestant lebte er in äußerst unruhigen Zeiten. Der schreckliche Dreißigjährige Krieg, in dem ein Drittel der deutschen Bevölkerung getötet werden sollte, kündigte sich bereits an. Der berühmte Prager Fenstersturz, beCD concerto palatino Kepleri dem wütende Protestanten zwei katholische Statthalter und ihren Kanzleisekretär aus einem Fenster im dritten Stock warfen und damit den Krieg entfachten, fand nur vier Tage vor der Fertigstellung von Keplers ‚Harmonia Mundi‘ statt. Vor diesem religiösen und politischen Hintergrund verteidigte Kepler seine Mutter gegen den Vorwurf der Hexerei (während er selbst immer noch an die Existenz von Hexen glaubte) und setzte sich für das neue kopernikanische Weltbild ein, wobei er den Vorwurf der Ketzerei riskierte. Auf seiner Suche nach Harmonie fand Kepler diese an zwei Orten: am Himmel und in der Musik, wobei er der Ansicht war, dass diese beiden harmonischen Modelle jeweils ein Ausdruck des Geistes Gottes seien. Aber Kepler ließ es nicht dabei bewenden. Er hoffte, dass er, nachdem er das Wesen der Harmonie in der Natur aufgezeigt hatte, auf Harmonie in der Welt und eine friedliche Koexistenz verschiedener religiöser Ansichten auf der Erde hinarbeiten könne.

Während Keplers Vorstellungen von Musik eng mit der Mathematik und seinen Beobachtungen von Himmelskörpern verbunden waren, näherte er sich der Musik auch aus praktischer Perspektive. So sagte der berühmte englische Musikhistoriker des 18. Jahrhunderts, Charles Burney: „Der große Mathematiker und Astronom Kepler spricht in seiner ‚Harmonia Mundi‘ [...] über das Thema Musik wie ein Mann, der sie nicht nur als eine den Gesetzen der Berechnung unterworfene Wissenschaft betrachtet, sondern sie als elegante Kunst studiert hat und für ihre Kräfte wahrhaft empfänglich war.“

PitágorasNatürlich war Kepler vertraut mit den alten Vorstellungen von kosmischer Harmonie, der Musik der Sphären, wie man sie nannte. Schon in der Antike glaubte man, dass die Planeten Töne erzeugen. Pythagoras demonstrierte auf dem Monochord die Beziehungen zwischen Saitenlänge und Tonhöhe, die die Beziehung zwischen Mathematik und Musik festigten, eine Beziehung, die Keplers lebenslanger Suche nach Harmonie in seinen Beobachtungen des Kosmos zugrunde lag. Als Musiktheoretiker wurde Kepler jedoch oft fälschlicherweise als rein neoplatonischer Denker dargestellt, der sich meist mit abstrakten Archetypen und antiker Philosophie beschäftigte. Doch mit einem Blick auf Keplers musikalischen Hintergrund und seine Beobachtungen zur Musik seiner Zeit wird dies widerlegt.

Kepler wuchs in den musikalischen Traditionen des Protestantismus in Württemberg auf. Ab seinem fünften Lebensjahr erlernte er neben der deutschen Psalmodie auch lateinische Sequenzen und Hymnen. Neben dem täglichen Gesang gab esRodolfo IIwöchentlichen Theorieunterricht, in dem er sich wohl auch mit Kontrapunkt beschäftigte. Es ist überliefert, dass Kepler seine musikalische Ausbildung während seines Theologiestudiums in Tübingen fortsetzte und vertiefte. Dort schrieben die akademischen Vorschriften das Singen an drei Tagen in der Woche vor, „die Studenten immer neue Motetten und gute Lieder erlernen und damit die Ausübung der Musik praktizieren müssen.“ Er wirkte auch an Musikaufführungen zu kirchlichen und privaten Anlässen mit.

Im Rahmen seiner ersten Anstellung als Mathematiklehrer in Graz (1594-1600) unterrichtete er Virgil und Rhetorik, eine Disziplin, an der er zeitlebens ein ausgeprägtes Interesse hatte. An dieser Schule kam er mit den musikalischen Strömungen in Berührung, die sich in unserer Aufnahme widerspiegeln. Erasmus Widmann war ein Grazer Organist, der in seiner geistlichen Musik Tanzstile bevorzugte. Durch Annibale Perini kam die venezianische Musikpraxis nach Graz. Zu den Werken, die Perini aus Venedig mitbrachte, gehörten wohl Motetten von Andrea Gabrieli, der Erzherzog Karl sein erstes Buch mit Messen widmete. Bei diesem in Graz residierenden Habsburger stand der Orlando di lassoflämische Komponist Lambert de Sayve seit 1583 als Kapellmeister im Dienst. Karl unterhielt auch enge Beziehungen zu der Familie Orlando di Lassos, dem von Kepler am meisten verehrten Komponisten.

Kepler siedelte 1600 nach Prag über, wo Kaiser Rudolf II. ein Interesse an den okkulten Künsten kultivierte und neben dem Aberglauben auch exakte Wissenschaften, neben Fanatismus auch Religionsfreiheit und neben derber Sinnlichkeit auch einen verfeinerten Geschmack förderte. Von den meisten dieser Strömungen hielt sich Kepler jedoch mit den Worten „Ich hasse alle Kabbalisten“ auf Distanz. In Prag, wohin Rudolf 1586 den kaiserlichen Hof verlegt hatte, besuchte Kepler wahrscheinlich die Gottesdienste in der Hofkapelle, in denen Hunderte Musiker Werke von Hofkomponisten wie Philippe de Monte und Hans Leo Haßler sowie venezianische Mehrchörigkeit aufführten.

Im Gegensatz zu den antiken Philosophen und den meisten seiner Zeitgenossen glaubte Kepler nicht daran, dass die Planeten durch ihre Bewegungen Töne erzeugen, zumindest keine, die für das menschliche Ohr wahrnehmbar wären. Den Grund dafür sah er darin, dass es im Universum, oder genauer gesagt im Sonnensystem, kein Übertragungsmedium gab, das einen solchen Schall zum menschlichen Ohr transportieren könnte. Seiner Meinung nach konnten diese Töne nur von der Sonne, oder genauer gesagt von der Seele der Sonne, gehört werden, da nach Keplers Auffassung alle Gestirne lebendig waren.

Es war Keplers Überzeugung, dass die Musik, insbesondere die polyphone Musik, wie sie in den letzten hundert Jahren vor ihm perfektioniert wurde, die himmlischen Harmonien widerspiegelt, die durch die Bewegungen der Planeten beschrieben werden. Bei dem Versuch, diese Ideen zu demonstrieren, bedient sich Kepler sowohl mathematischer Proportionen als auch kosmischer Beobachtungen. Alle in der Musik verwendeten Intervalle entsprechen einfachen mathematischen Proportionen, wie z.B. 1:2, 3:5, 5:8, 2:3, 3:4, 4:5, 5:6 und so weiter. Bei der Untersuchung der Positionen und Bewegungen der Planeten entdeckte Kepler praktisch die gleichen Proportionen. Ein moderner Wissenschaftler erklärte, dass sich die Vermutungen Keplers und die physikalische Realität als erstaunlich nahe beieinander liegend erwiesen haben.

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Ein großer Teil der Argumentation Keplers stützt sich auf die Form der Planetenbahnen. Wenn man die Geschwindigkeit der Bewegung eines Planeten mit einem musikalischen Ton in Beziehung setzt, würde ein Planet, der sich auf einer Kreisbahn bewegt, wie man vor den Beobachtungen Tycho Brahes glaubte, nur einen Ton erzeugen. Wenn sich der Planet jedoch auf einer elliptischen Umlaufbahn bewegt, variiert seine Geschwindigkeit, oder besser gesagt, seine sogenannte Winkelgeschwindigkeit, je nach seinem Abstand zur Sonne, wobei er sich am nächsten Punkt (Perihel) am schnellsten und am entferntesten Punkt (Aphel) am langsamsten am langsamsten bewegt. Somit definiert jeder Planet, oder besser gesagt, sein Verhältnis der Winkelgeschwindigkeiten an Aphel und Perihel, je nach der Form seiner Umlaufbahn ein einzigartiges Intervall, und durch Ausfüllen der Noten (Geschwindigkeiten) dazwischen auch eine bestimmte Tonleiter oder einen bestimmten Modus. So hat Merkur, der die elliptischste Umlaufbahn hat, das größte Intervall und damit die meisten Zwischentöne, während die Venus als kreisförmigste nur einen Ton erzeugt. Die Erde, deren Bahn fast ebenso kreisförmig ist, erzeugt zwei Töne im Abstand einer kleinen Sekunde (daher E und F), wodurch ihre Musik in der phrygischen Tonart erklingt, in der dieses Intervall betont wird. Mit Hilfe der Daten Tychos begann Kepler, mit Planetenpaaren zu arbeiten. Er zeigte, dass die Geschwindigkeiten von Saturn im Perihel und Jupiter im Aphel im Verhältnis 1:2 stehen, was einer Oktave entspricht. In ähnlicher Weise betrug das Verhältnis zwischen den Geschwindigkeiten von Mars im Perihel und Erde im Aphel 1:3 (eine reine Quinte) und so weiter. Er argumentierte, dass angesichts der Unendlichkeit der Zeit jeder Planet in allen möglichen Beziehungen zu den anderen Planeten stehen könne, wodurch alle in der Musik vorkommenden Harmonien entstünden. Aber diese „Musik“ bewege sich sehr langsam – Milliarden, wenn nicht Billionen von Jahren, bis sich eine „Kadenz“ einstellt. Indem der Mensch mehrstimmige Musik schuf, insbesondere sechsstimmige Werke, bei der die Stimmen den sechs ihm bekannten Planeten entsprechen, erzeugte er diese himmlischen Beziehungen und Kadenzen innerhalb einer menschlichen Zeitspanne.

DIE MUSIK

Die gesamte auf dieser CD eingespielte Musik, natürlich bis auf das zeitgenössische Auftragswerk, besteht aus Werken, die Kepler sicher oder sehr wahrscheinlich kannte, da sie von Komponisten aus seinem unmittelbaren kulturellen Umfeld stammen. Das Stück von Calliope Tsoupaki bietet dagegen die Gelegenheit, auf eine andere Art und Weise über dieconcerto palatinoSchnittmenge von Kosmologie und Musik nachzudenken.
Keplers Interesse an der Musik ging über die oben beschriebenen mathematischen Beobachtungen hinaus. Er interessierte sich auch für Rhetorik und äußerte sich eindringlich über die Beziehung zwischen musikalischen Intervallen und dem Ausdruck menschlicher Leidenschaft. Er war der Meinung, dass es Orlando di Lasso von allen Komponisten seiner Zeit am besten gelang, die Harmonie, die er am Himmel beobachtete, in seiner Musik auszudrücken. Gibt es ein besseres Stück als Einstieg in unser Programm als Lassos großartige doppelchörige Vertonung des Offertoriums Psalm 88, Tui sunt caeli et tua est terra (Du bist der Himmel und du bist die Erde)? Die Aufteilung in einen hohen und einen tiefen Chor wird von Beginn an verwendet, um Himmel und Erde darzustellen, und der Kontrapunkt wird dann von einer eindringlich wiederholten Figur auf dem Wort praeparatio übernommen, die dazu dient, den Imperativ der Vorbereitung auf das Kommen des Herrn zu unterstreichen. Gegen Ende unserer CD präsentieren wir als Gegenstück zu Tui sunt caeli Lassos prächtige zehnstimmige Vertonung des Hymnus Aurora lucis rutilat. Ausgehend vom Bild der schimmernden Morgendämmerung voller Lobgesänge, die durch den Himmel hallen, ist der Text voller kraftvoller Rhetorik, die einen seltenen Reichtum an musikalischen Mitteln hervorbringt. Diese schildern klagende Angst, den Stachel des Todes, die Ketten der Gefangenen, bewaffnete Wachen und die Schmerzen der Hölle. Alles findet ein überraschend ruhiges Ende mit aus beiden Chören widerhallenden Amen-Rufen.

Besonders angetan war Kepler von Lassos fünfstimmiger Motette In me transierunt. Das sehr emotionale Stück steht im phrygischen Modus, der jenes Halbtonintervall E-F betont, das Kepler in seiner Planetenanalyse als „das Lied der Erde“ charakterisierte – ein Intervall, das den Modus in Keplers Worten „wehmütig, gebrochen und in gewisser Weise beklagenswert“ klingen lässt. Er schreibt: „Die Erde singt (in Solmisationssilben), sodass man schon aus diesen Silben erahnen kann, dass auf Erden Elend (lateinisch miseria) und Hunger (lateinisch fames) herrschen.“ Keplers Beschreibung der Intervallstruktur der Eröffnungsmelodie mit ihrer ansteigenden Sexte und ihrer absteigenden Sekunde verrät sowohl seine Kenntnis der musikalischen Rhetorik, wie sie von den Musikern seiner Zeit verstanden wurde, als auch seine Sensibilität für deren Wirkung. Er weist auf die Seltenheit der aufsteigenden kleinen Sexte als Eröffnungsintervall hin und beschreibt die Kombination dieses Intervalls mit der folgenden absteigenden Sekunde als Ausdruck einer tiefen Trauer oder als „Wehklagen“. Diese Motette war damals allgemein bekannt und geschätzt. Sie bildete das Thema einer gefeierten rhetorischen Analyse durch den deutschen Theoretiker Joachim Burmeister. Diese 1606 veröffentlichte Analyse war Kepler zweifellos bekannt.

Kepler behauptete, dass der sechsstimmige Kontrapunkt am besten dazu geeignet sei, die himmlische Harmonie nachzubilden, da er den sechs ihm bekannten Planeten entsprach. Um dieser Vorliebe Rechnung zu tragen, haben wir die sechsstimmige Motette Si coelum et coelorum von Lasso ausgesucht, deren einleitendes aufsteigendes Intervall eine rhetorische Beschwörung des Himmels ist. Hier haben wir uns für eine dreistimmige Besetzung mit drei Stimmen und drei Instrumenten entschieden, um die völlige Austauschbarkeit von Stimmen und Instrumenten in der musikalischen Praxis zu Keplers Zeiten zu demonstrieren. Sänger ahmten die Natur nach, indem sie den Bedeutungen der Worte Stimme gaben und sie zum Ausdruck brachten; Instrumentalisten, indem sie die Sprache der Sänger imitierten.

Wir haben auch sechsstimmige Motetten von einigen Kollegen und Schülern Lassos ausgewählt, bei denen wir jeweils mit verschiedenen Kombinationen von Stimmen und Instrumenten experimentieren. Wir spielen Andrea Gabrielis Beati quorum rein instrumental und sein Emendemus in melius ebenfalls mit drei Instrumenten und drei Stimmen. Wir hoffen, dass es uns gelungen ist, die Kombination von Stimmen und Instrumenten so nahtlos zu gestalten, dass man nicht immer weiß, was gesungen und was gespielt wird.

Als Kepler 1594 nach Graz ging, um dort Mathematik und Rhetorik zu unterrichten, hielt sich Lambert de Sayve, der bis 1582 dort die Chorknaben unterrichtet hatte, schon über ein Jahrzehnt nicht mehr in Graz auf. Lambert de Sayve wurde später Chorleiter an der Kapelle des Erzherzogs Matthias von Österreich (dem Bruder von Kaiser Rudolf II.). Als Matthias 1612 die Nachfolge seines Bruders Rudolf als Kaiser antrat, wurde de Sayve Leiter der kaiserlichen Kapelle. Im letzten Stück unseres Programms feiert der Komponist auf grandiose Weise Matthias‘ Kaiserkrönung. Kepler dürfte einen so bedeutenden Musiker in seinem unmittelbaren Umfeld sicher gekannt haben. Wir denken, dass Kepler Lambert de Sayves äußerst expressive sechsstimmige Motette Miserere mei Deus sehr gefallen hätte, mit ihrer geradezu schmerzlich schönen Harmonik und dem wirkungsvollen Einsatz rhetorischer Stilmittel wie den großen Abwärtssprüngen über die Worte et in umbra, denen sich bei sperabo aufwärtsstrebende passaggi anschließen, während bei iniquitas zarte Harmoniewechsel eingesetzt werden. Diese Motette ist ein Meisterwerk. Wir haben beschlossen, ihre ausdrucksstarke musikalische Rhetorik mit einer rein vokalen Interpretation zum Ausdruck zu bringen.

Als Kepler nach Graz ging, wirkte Annibale Perini als Organist an der dortigen evangelischen Stiftskirche. Ungefähr 1575 kam er aus Venedig nach Graz. Es wird vermutet, dass er ein Neffe von Annibale Padovano war, und wie sein mutmaßlicher Onkel war Perini aktiv daran beteiligt, den venezianischen Stil nach Graz zu importieren. Das siebenstimmige Cantate Domino auf unserer CD ist eines seiner besten Werke und findet sich in sechs Quellen. Sein Laudate Dominum, ebenfalls für sieben Stimmen, ist kontrapunktisch weniger komplex, aber ebenfalls rhythmisch abwechslungsreich und mit einem dramatisch vertonten Text, was wir in einer Fassung für sieben Stimmen und sieben Instrumente noch betont haben.

Concerto Palatino Kepler ensemble

Wir wissen nicht, ob Kepler Hans Leo Haßler jemals begegnet ist, aber er kam wohl zwangsläufig mit seiner Musik in Berührung. Haßler war ein Schüler Andrea Gabrielis in Venedig und einer der für die Verbreitung des venezianischen Stils nördlich der Alpen maßgeblichen Komponisten. Um die Jahrhundertwende tauchten Haßlers Vokalwerke in wichtigen Anthologien auf und waren allgemein zugänglich. Er arbeitete in Augsburg und Nürnberg, stand aber stets in engem Kontakt mit Rudolf II., bei dem er das Amt eines „Kaiserlichen Hofdieners“ innehatte. An Rudolfs Hof in Prag dürfte Kepler mehrchörige Kompositionen von Haßler gehört haben, wie z.B. die herrlich venezianische dreichörige Motette Jubilate Deo, ebenso wie den prächtigen dreichörigen Satz Deus misereatur nostri von Andrea Gabrieli.

Aus dem Wunsch heraus, ein Gegengewicht und einen Kontrast zur Polyphonie der Welt Keplers zu schaffen und eine Gelegenheit für eine andere Art der Reflexion über Musik und Kosmologie zu bieten, haben wir Calliope Tsoupaki, die 2019 als „Composer laureate“ der Niederlande ernannt wurde, gebeten, ein neues, von Kepler inspiriertes Werk zu schaffen. Darauf schrieb sie Astron, ein Werk, das auf einer orphischen Hymne „An die Sterne“ basiert. Es ist eine kraftvolle, fast rituelle Anrufung der Sterne, geschrieben in der Art eines imaginären griechischen Chors. Eine gemischte Gruppe von Sängern bildet den Chor, der von einer Sopransolistin in der Rolle des Coryphaeus angeführt wird. Das Sängerensemble antwortet ihr mit kraftvoller homophoner Musik, die gelegentlich unerwarteten Abschnitten mit heiteren Harmonien Platz macht. Eine Instrumentalgruppe antwortet auf die Sängerinnen und Sänger mit Zink- und Violinsoli, unterstützt von Rufen der vier Posaunen, die von heftigem Dröhnen bis zu feierlicher Gelassenheit reichen.

Bruce Dickey
Übersetzung: Susanne Lowien

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